"Reicht nicht mal für einen Radiergummi" - Interview mit Anette Bacher zum Thema Kinderarmut
Laut einer Bertelsmann-Studie ist die Zahl armer Kinder vor allem im Westen Deutschlands gestiegen. Auch in Hessen.
Fragen an Anette Bacher (48), Leiterin des Caritashauses St. Josef in Offenbach.
Frage: Hessen liegt im Mittelfeld, was die Kinderarmutsquote betrifft, die Quote ist aber seit 2011 deutlich gestiegen. Ist das Rhein-Main-Gebiet ein Faktor?
Bacher: Ja, das liegt auf der Hand. Das Rhein-Main-Gebiet hat eine sehr hohe Bevölkerungsdichte, viele Familien leben dort. Es gibt viele Familien mit Migrationshintergrund, viele Familienväter sind Arbeiter in der Industrie, viele in schlecht bezahlten Jobs. Die Lebenshaltungskosten und die Mieten sind dagegen hoch.
Frage: In der Stadt Offenbach ist die Kinderarmutsquote in Hessen am höchs-
ten. Woran liegt das?
Bacher: Offenbach war schon immer eine Arbeiterstadt. Es gab hier früher die Lederindustrie und Metallbaufirmen. Dadurch kamen viele Gastarbeiter in die Region. Ein Großteil der Firmen fiel weg. Aber die Menschen sind da. Zudem gibt es eine Kultur der Migration, die weiterhin Migranten anzieht.
Frage: Die Wirtschaft boomt, Steuereinnahmen sprudeln. Warum gibt es trotzdem Kinderarmut?
Bacher: Die Frage ist, wohin die Einnahmen fließen. Man braucht sich nur die Hartz-IV-Sätze anzuschauen. Zu Schulbeginn gibt es für ein Kind 100 Euro extra, ein brauchbarer Schulranzen kostet aber mehr. Für Bildung ist für Kinder von 6 bis 13 Jahren 1,30 Euro pro Monat berechnet, das reicht nicht mal für einen Radiergummi. Da nützt auch gutes Haushalten wenig, die Hartz-IV-Sätze sind definitiv zu niedrig. Milliarden sind zudem nötig, um marode Schulen zu renovieren. Ein kaputtes Umfeld wird Kinder kaum zum Lernen motivieren.
Frage: Was tut die Caritas?
Bacher: Kinder müssen früh gefördert werden. Daher versuchen wir, Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Ein Beispiel ist unser Projekt "Elmo" (Eltern lernen mit in Offenbach), das die Stadt Offenbach finanziert. Eltern-Mentoren helfen auf einfache Weise, dass Kinder Deutsch lernen, zählen lernen oder beim Sport die Balance halten können. Wir gehen davon aus, dass alle Eltern gute Eltern sein wollen, wir wollen sie dabei unterstützen.
Quelle: Glaube und Leben, Nummer 40, Anja Weiffen